Wie Milly zu Sanyu wurde - 7. Dezember 2014

Es ist kurz nach sechs. Der Hahn kräht und die Vögel zwitschern, aus dem Radio ertönt ein Rauschen, bis meine Gastmutter den gewünschten Sender gefunden hat. Ich drehe mich nochmal um, denn mein Wecker klingelt erst um 6:30 Uhr. Dann klingelt eins der beiden Handys meiner Gastmutter und ich höre wie sie beim Telefonieren laut anfängt zu lachen. Um abgesehen von einzelnen Wörtern zu verstehen was sie sagt, reicht mein Luganda aber noch nicht aus. Das wird sich hoffentlich ändern, wenn wir im Januar den Sprachkurs im Goethe-Institut der deutschen Botschaft in Kampala beginnen.

Meistens trinken wir Abends noch so viel Tee, dass ich mich morgens früh als erstes auf den Weg zur Latrine mache. Ich versuche die hintere Haustür leise zu öffnen, doch es klappt nicht. Schon allein beim Verschieben des ersten der drei Riegel entsteht ein lautes Quietschen. Aber dann denke ich mir: wer durch den Hahn, die Vögel und die morgendlichen Telefongespräche meiner Gastmutter nicht wach geworden ist, der wird es davon auch nicht. Draußen erwartet mich ein wunderschönen Sonnenaufgang und dieses Licht, von dem meine Mama immer gesprochen hat. Es fällt mir wirklich schwer es zu beschreiben, aber in der Morgen- und Abenddämmerung scheint die Welt hier manchmal in ganz besonderes schöne Farbtöne getaucht zu werden.

Nach dem Frühstück mache ich mich auf den Weg zur Arbeit, laufe vorbei an den Ziegen und Hühnern, die in den kleinen Straßen herumlaufen, an den Frauen, die zu dieser Zeit oft vor ihren Häusern Wäsche waschen, an den Kindern die sich nach mir umdrehen und im Chor „A Mzungu, a Mzungu, a Mzungu“ rufen. Des öfteren begegne ich auch dem Hahn, der mich morgens weckt. Ich mache große Schritte, um nicht auf dem Müll auszurutschen oder in die Pfützen zu treten, die durch den Regen über Nacht entstanden sind. Selbst in den engstens, matschigen Gassen, die durch das Regenwasser tiefe, unebene Rillen aufweisen, fahren Bodas an mir vorbei.

Der Großteil der Freunde und Verwandten meiner Gastfamilie waren sich einig, als sie erfuhren, dass ich für ein Jahr hier leben werde: ich sollte auf jeden Fall einen lugandischen Namen bekommen. Außerdem haben hier viele Menschen Schwierigkeiten den Buchstaben R auszusprechen, da dieser auf Luganda wie L gesprochen wird. So kommt es, dass ich meistens „Milly“ oder manchmal auch „Emily“ genannt werde und ich mich so schnell daran gewöhnt habe, dass ich irgendwann sogar angefangen mich aus Versehen selbst als „Milly“ vorzustellen.

Anne und Ruth sagten immer wieder, dass sie sich wirklich bald Gedanken über meinen lugandischen Namen machen müssen. Nach einigen Wochen war es dann scheinbar so weit. Erst wusste ich gar nicht genau worum es geht, bis ich verstand, dass grade beim Abendessen mit den anderen Besuchern über einen passenden Namen für mich diskutiert wurde. Als die Entscheidung gefallen war, verkündete Ruth feierlich: „In the name of our country, in the name of Buganda Kingdom and in the name of our family we now prenounce you Sanyu“ und alle fingen an zu lachen. „We chose this name for you, because you're always smiling.“, sagte Anne. Dann verriet sie mir noch, dass Sanyu auf Luganda „Happiness“ oder „Joy“ bedeutet. Ich mag meinen neuen Namen und denke schon gar nicht mehr darüber nach, zu Hause von allen so genannt zu werden.

Vor allem weil ich Joshua, Ruth und ihre Tochter Thecla seit letzter Woche sozusagen gegen zwei neue Gastschwestern eingetauscht habe, ist mein neuer Name wirklich von Vorteil. Eine der beiden heißt Mimrembe, wird aber nur Mimi genannt, sodass wir beide nie wissen, wer gemeint ist, wenn meine Gastmutter mich nicht Sanyu ruft. Mimi ist neun und die Enkeltochter meiner Gastmutter, die ich ganz am Anfang mit der ganzen Familie im Internat besucht habe, als ich noch gar nicht bei ihnen wohnte. Die andere heißt Fibi, ist fünfzehn und verbringt ebenfalls bei Anne ihre Ferien, die letzte Woche angefangen haben und bis Februar andauern. Was Fibi betrifft, habe ich die Verwandtschaftsbeziehungen aber noch nicht ganz durchschaut. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist sie die Tochter eines Sohnes von Annes Bruder, also wäre Anne ja dann ihre Großtante. Warum Fibi aber gleichzeitig auch Mimis Oma sein soll, leuchtet mir nicht so ganz ein.

Thecla und Ruth wohnen jetzt wieder mit Thecis Papa Gusta zusammen, aber sie sind trotzdem oft zu Besuch. „Milly, Milly, how are you?“ sagt Ruth dann immer, wenn sie zur Tür rein kommt und ich antworte „Lucy, Lucy, bulungi and you?“. So wird ihr Name auf Luganda ausgesprochen.

So langsam habe ich das Gefühl, dass Alltag einkehrt, auch wenn ich noch nicht behaupten kann wirklich angekommen zu sein. Vieles scheint mir noch fremd, irritiert und verwundert mich. An viele Dinge habe ich mich jedoch inzwischen gewöhnt. Sei es der Regen, der mal wieder große Tagesplanänderungen erzwingt, den metallischen, rauchigen Geschmack des über der Holzkohle abgekochten Leitungswassers, welches an manchen Tagen eher milchig als klar ist, oder die Tatsache, dass unsere Dusche Nachts auch als Toilette benutzt wird, weil sich dann keiner mehr nach draußen auf den dunklen Weg zur Latrine machen will. Trotzdem gibt es täglich noch viele Dinge, die mich verwundern, irritieren oder einfach nur zum Schmunzeln bringen. Ich frage mich, was davon in den nächsten Monaten noch selbstverständlich und was mir immer befremdlich erscheinen wird.

So kann mir zum Beispiel zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorstellen mich jemals an die Rufe auf der Straße zu gewöhnen, die ich manchmal einfach ignoriere, weil ich der Meinung bin, dass das der beste Weg ist damit umzugehen. Mit den Menschen, die mich einfach nur freundlich begrüßen unterhalte ich mich gerne. Ich versuche auch wirklich Verständnis dafür aufzubringen, dass ich von vielen, auch erwachsenen Menschen, ganz gleich ob Männer oder Frauen, oft angeschaut werde wie ein Marsmännchen, obwohl ich mich hier in der Hauptstadt befinde und sicherlich nicht die erste Weiße bin, die die Menschen hier gesehen haben. Auch die Kinder in meiner Siedlung sollten sich mittlerweile daran gewöhnt haben, dass zweimal am Tag ein weißer Mensch an ihrem Haus vorbei spaziert. Ich werde zwar meistens nicht mehr von einer ganzen Kinderschar bis nach Hause verfolgt, die Rufe sind aber nicht weniger geworden. Bei Kindern finde ich es jedoch nicht ganz so schlimm. Für die obszönen Sprüche und Gesten von Seiten der männlichen Bevölkerung kann ich allerdings wenig Verständnis aufbringen. Wenn irgendwelche jungen Männer mal wieder versuchen mich in ihr Matatu zu zerren, obwohl ich zielstrebig in genau die entgegengesetzte Richtung laufe, werde ich schon oft sehr genervt und würde die Menschen manchmal am liebsten einfach anschreien und fragen, ob sie wirklich glauben, dass ich einsteigen werde, wenn ich doch wie unschwer zu erkennen ist, in eine ganz andere Richtung laufe, als sie fahren wollen. Naja, man kann es ja mal versuchen, die Conducter der Matatus sind hier eben sehr geschäftstüchtig. Ich habe beschlossen die nervigen und belästigenden Äußerungen zumindest so oft wie möglich mit Humor zu nehmen. Wenn das bedeutet, dass ich auf blöde Sprüche auch blöde Antworten verteile, dann ist das eben so. Das mache ich in Deutschland schließlich auch nicht anders.

Was mir im Moment noch am schwersten fällt, ist die Gewöhnung daran wie anders die Uhren hier ticken. Hin und wieder mag es wirklich angenehm sein, dass man zu spät kommen kann, ohne dass es irgendjemanden stört, insbesondere wenn es regnet. Eigentlich ist es ja meistens halb so wild, aber wenn man sich etwas schon eine gefühlte Ewigkeit vorgenommen hat und es aus welchem Grund auch immer wieder nicht klappt, man aber auch einfach nichts daran ändern kann und es einfach so hinnehmen muss, macht mich das in manchen Situationen schon echt wahnsinnig.

Mir ist aber nach einen "extremen" Erfahrungen schnell klar geworden, dass ich an meiner Einstellung arbeiten muss, wenn ich nicht jeden Abend unzufrieden ins Bett gehen will, weil ich das Gefühl habe so gut wie nichts geschafft zu haben. Denn obwohl man eigentlich total viel Zeit hat, kommt es mir so vor, als würde diese manchmal noch schneller vergehen als in Deutschland, weil alles hier eben seine Zeit braucht und man nicht „mal eben schnell“ etwas erledigen kann. Ich weiß ganz genau, dass ich diesen entspannten Alltag in Deutschland vermissen werde, also habe ich beschlossen es einfach zu genießen. Das fiehl mir bis vor Kurzem aber noch nicht so leicht.

Mittlerweile kann ich drüber lachen, aber vor einigen Wochen hatte ich mir an einem Sonntag zwar schon weniger, aber für ugandische Verhältnisse immer noch viel zu viel vorgenommen, was dazu führte, dass ich zwischenzeitlich unglaublich genervt und wütend war. Eigentlich hatte ich geplant spätestens um zehn Uhr im Guest House zu sein, also um halb neun loszufahren, um in den Genuss von ein bisschen Strom zu kommen und mit ein paar anderen Mitfreiwilligen zu kochen. Meine Gastmutter war wieder einmal ganz überrascht, dass ich schon so früh los wollte und schlug vor, dass ich zumindest bis zum Mittagessen um ein Uhr da bleibe. Ich konnte irgendwie nicht nein sagen. Obwohl ich wusste, dass ein Uhr hier meistens zwei Uhr bedeutet, manchmal aber auch drei Uhr, aber durchaus auch zwölf Uhr heißen kann, hoffte ich einfach, dass wir pünktlich essen würden, damit ich meine Mama noch erwischen würde, mit der ich nach vier Wochen mal wieder skypen wollte. Also beschloss ich den Vormittag noch zum Wäschewaschen zu nutzen und mich direkt nach dem Essen auf den Weg zu machen. Je später es wurde, desto ungeduldiger wurde ich. Da mein Laptopakku leer war, konnte ich meiner Mama natürlich auch nicht Bescheid sagen. Um halb drei machte ich mich dann total genervt endlich auf den Weg nach Nansana und ärgerte mich über mich selbst, weil ich nicht schon morgens gefahren war. Als ich dann im Internetcafé  angekommen war – skype funktionniert seitdem ich in Uganda bin nicht mehr auf meinem Laptop-, hat zum Glück alles wunderbar geklappt. Da es dann schon kurz nach fünf war, lohnte sich nur leider nicht mehr meinen Laptop im Guest House zu laden, denn den Fehler nach sechs Uhr von Nansana wieder nach Hause zu fahren, noch dazu an einem Sonntag, habe ich nur ein mal gemacht.

Das war nämlich alles andere als eine gute Idee, denn es war so viel Verkehr, dass ich nachdem sich das Matatu erst eine halbe Stunde lang nur wenige Meter und seit über fünf Minuten gar nicht mehr bewegt hatte, meine Sitznachbarn fragte wie weit es noch bis zu „Kasubi stage“ sei, von wo ich umsteigen oder bis nach Hause laufen kann. Sie erkundigten sich, wo ich genau hin muss und sagten mir dann, dass es schneller wäre zu laufen. Ich beschloss auszusteigen und ging am Straßenrand vorbei an den unzähligen Händlern des „Kasubi Market“. Jetzt wusste ich wieder wo ich war, nur im Dunkeln sah eben alles so anders, oder eher so gleich aus. Die beiden hilfsbereiten Herren entschieden sich auch zu laufen. Als wir an der Kreuzung am „Kasubi stage“ angekamen, erklärten sie mir noch, von wo aus ich das nächste Matutu nehmen kann, welches in die richtige Richtung fährt. Ich kannte mich dort schon wieder aus, fand es aber trotzdem sehr nett, dass sie mir helfen wollten. Die Anrufe meiner besorgten Gastmutter, die ich später auf meinem Handydisplay angezeigt bekam, konnte ich leider nicht entgegennehmen, da auch mein Handyakku zum Ende des Wochenendes leer geworden war. Weil ich schon vermutete, dass sie sich fragt wo ich bleibe, wollte ich möglich schnell nach Hause und stellte mir in Kasubi die Frage, was denn nun besser ist: eine knappe halbe Stunde bis nach Hause laufen, ein inoffizielles Taxi nehmen – vor allem im Dunkeln vielleicht nicht die allerbeste Idee -, genauso wenig wie auf ein Boda zu steigen, oder eben mindestens noch zwanzig Minuten zu warten bis das nächste offizielle Matatu voll ist? Ich habe mich dann für letzteres entschieden, was natürlich dazu führte, dass ich noch später zu Hause war – spät ist relativ, es war kurz nach acht. Ich war nicht begeistert, ganz so dramatisch wie meine Gastfamilie fand ich es allerdings auch nicht. Dafür, dass es von Nansana bis zum Haus meiner Gastfamilie aber weniger als 10 Kilometer sind, ist aber wirklich der Wahnsinn wie lange man hier braucht, um von A nach B zu kommen. Meine Gastmutter hatte grade Ruth losgeschickt, um mich zu suchen, weil sie dachte ich hätte mich verlaufen. Ein bisschen konnte ich natürlich schon verstehen, dass sie sich Sorgen gemacht haben, weil sie mir immer wieder sagen, dass sie nicht in der besten Gegend wohnen. Aber Anne ist wirklich sehr ängstlich und das bin ich von meiner Mama eben einfach nicht gewöhnt.

Das mit der Zeit ist hier eben so eine Sache. Der Bruder von meiner Gastmutter sagt immer: „People here keep the day, they don't keep time“. Noch besser gefallen hat mir der Spruch „There is no time to rush in Africa.“ - ironischer geht es gar nicht. Er ist im Moment ganz oft zu Besuch und ich unterhalte mich total gerne mit ihm. Weil er Arzt ist, nennt meine Gastmutter ihn meistens nur „Doctor“, aber er hat viele Namen. Eigentlich heißt er Charles, wird aber immer Uncle Steven gerufen, weil am Boxing Day, dem Namestag des St. Stephan geboren wurde. Meistens unterhalten wir uns über die Verhältnisse in den Krankenhäusern und übers Reisen. Dadurch das er in Russland studiert, eine Zeit lang in Schweden gearbeitet hat und auch in anderen europäischen und afrikanischen Ländern viel herumgekommen ist, hat er immer viele spannende Geschichten zu erzählen. Außerdem spricht er richtig gut Deutsch und viele andere Sprachen. Im Moment betreibt er eine Klinik im Südsudan und ist auch viel im Kongo unterwegs. Seine Erzählungen machen aber wenig Lust in diese beiden Ländern zu reisen und aufgrund der prekären Sicherheitslage hat er sich entschieden bald wieder in Uganda zu arbeiten.

Neben unserer Begeisterung fürs Reisen teilen Uncle Steven und ich die Angst vor den Mäusen, die seit ein paar Wochen in unserem Haus ihr Unwesen treiben. Ich konnte anders als meine Gastmutter nicht darüber lachen, als ich letztens eine über den Wohnzimmertisch flitzen sah. Nachdem Anne nun aber auch in meinem Zimmer ein bisschen Mäusegift verteilt und die große blaue Tüte mit den angeknabberten Stromkabeln mitgenommen hat, kann ich wieder ohne verdächtige Geräusche von unter meinem Bett einschlafen.

Vor zwei Wochen war ich ziemlich stark erkältet und habe einige Tage im Bett verbracht, weil nach zwei Tagen noch Fieber dazu gekommen ist. Ich war in dem Moment einfach unglaublich froh, dass ich mich für einen Malariatest nur ins Wohnzimmer und nicht bis ins nächste Krankenhaus bewegen musste. Vorsorglich wie sie ist hat Anne natürlich sofort ihren Bruder angerufen, der dann auch vorbei gekommen ist und mir für den Test Blut abgenommen hat. Ein bisschen beunruhigt war ich schon, weil ich normalerweise nie Fieber habe. Glücklicherweise war der Test negativ, aber Uncle Steven wollte mir zur Sicherheit trotzdem Anti-Malaria-Medikamente besorgen. Weil die, die er haben wollte aber irgendwie nicht aufzutreiben waren und das Fieber am nächsten Tag auch gesunken war, hat er es sich dann doch anders überlegt. Ich musste Maria aber trotzdem noch ein paar Tage im Galilee Hospital alleine lassen, weil ich mir aber neben dem Schnupfen und Husten auch noch eine Mandelentzündung eingefangen hatte. Meine Gastmutter kaufte extra Honig und „Ghee“, eine Art Butterschmalz, für mich ein, von dem ich einen geschmolzenen Teelöffel voll essen sollte und mit dem ab sofort alle Gerichte gekocht wurden. Immer wenn jemand krank ist, wird das in meiner Familie wohl so gemacht. Außerdem bereitete Ruth mir aus verschiedenen Kräutern ein Dampfbad zum Inhalieren zu, was wirklich eine Erleichterung für meine verstopfte Nase darstellte. Und die Grashüpfer, die ich gegessen habe, werden sicherlich auch ihren Teil dazu beigetragen haben, dass es mir wieder besser geht. Sie sind nicht nur gesund, sondern vor allem sehr, sehr lecker!

 

Durch meine Krankheit habe ich leider das erste Outreach verpasst. Laut Maria war es allerdings nicht sonderlich spannend. Wir sind davon ausgegangen, dass diese Behandlungstage außerhalb des Krankenhauses, bei denen der Bevölkerung in den Slums und weiter außerhalb kostenlose medizinische Leistungen angeboten werden, etwa alle zwei Wochen oder zumindest ein mal im Monat stattfinden würden. Allerdings war dies das erste seitdem wir hier sind. Nach dem nächsten Outreach werde ich mir dann selbst ein Bild machen und davon berichten können.

 

Der ugandischen Behörde ist bei der Ausstellung unserer Visa leider ein kleiner Fehler unterlaufen: auf meiner Arbeitserlaubnis steht der 11. August als Enddatum, weil nicht den Tag des Beginns unseres Aufenthalts, sondern den an dem UPA die Visa für uns beantragt hat, berücksichtigt wurde. Erst war nicht klar wie das von IN VIA oder entsprechend der „weltwärts“-Vorgaben gehandhabt werden würde, denn eigentlich muss man mindestens bis zum 14. eines Monat im Gastland sein, damit der Monat anerkannt wird. Es wird zwar möglich sein, für den letzten Monat noch ein Touristenvisum zu beantragen, jedoch keine weitere Arbeitserlaubnis, sodass ich dann nicht mehr arbeiten darf. Da wir alle Visumkosten selber tragen müssen, wurde uns von IN VIA nun freigestellt, ob wir verlängern oder nicht. Bei den meisten Mitfreiwilligen, die schon am 4. September ausgereist sind, ging es nur um einige Tage und da die frühere Ausreise vom BMZ genehmigt wurde, haben sie sich dafür entscheiden schon am 11. August zu fliegen. Für Maria war auch klar, dass sie am frühestmöglichen Termin ausreisen will. Elena und ich haben allerdings noch keine Entscheidung getroffen. Ich denke schon, dass ich bis September bleiben werde, weil ich mir sicher bin, dass ich es sonst nächstes Jahr bereuen werde. Selbst wenn die Situation im Krankenhaus zurzeit wirklich alles andere als zufriedenstellend ist und es natürlich schon den ein oder anderen Moment gab, in dem ich mir gewünscht hätte zu Hause zu sein.

Wenn ich allerdings schon im August zurückkommen würde, wäre es für mich jedoch noch eher denkbar, meinen Studienplatz in Kiel für das Wintersemester wahrzunehmen. Anderseits hatte ich eigentlich schon in den ersten Wochen nach meiner Ankunft festgestellt, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, nächstes Jahr direkt nach meiner Rückkehr ans andere Ende von Deutschland zu ziehen und mit dem Studium zu beginnen. So schnell ändern sich die Dinge, denn vor ein paar Monaten war es für mich noch unvorstellbar zwei Jahre zu warten, bis ich anfange zu studieren.

 

Ich möchte mich nicht über die Menschen lustig machen, die hier vielleicht keine andere Wahl haben als Secondhand-Kleidung zu kaufen und deshalb nicht wissen was auf ihren Klamotten drauf steht. Eigentlich ist das alles andere als zum Lachen, aber die Tatsache dass unglaublich viele Altkleider aus Deutschland in Uganda landen, trägt immer wieder zu meiner Belustigung bei. Sehr gut gefallen hat mir das rote T-Shirt eines etwa zehnjährigen Jungen, auf dem vorne „Ihr nehmt doch alle Drogen“ drauf stand. Weil mir der Spruch irgendwie bekannt vor kam, drehte ich mich um und konnte auf seinem Rücken „Die Ärzte“ lesen. Auch nicht schlecht fand ich den Conductor eines Matatus, der ein Lidl-Mitarbeiter-T-Shirt trug oder einen Bodadriver mit einer Rhein-Energie-Warnweste. Das Highlight hat aber Maria entdeckt: einen Mann, der ein T-Shirt mit dem Schriftzug „Malle 2010 – Ich hab's überlebt!“ trug.

 

An der Situation im Krankenhaus hat sich wenig geändert und uns bleibt meist nichts anderes übrig als den ganzen Tag irgendwo zu sitzen und zu quatschen. Inzwischen ist das wirklich frustrierend, weil ich eben hierher gekommen bin, um etwas Sinnvolles zu tun und diese Erwartung wird zurzeit einfach nicht erfüllt. Nachdem uns in Gesprächen mit unserem Ansprechpartner im Hospital immer wieder gesagt wurde, es gäbe doch Patienten, also auch Arbeit – unserer Problem also nicht als solches wahrgenommen wurde -, zogen wir Sam von UPA, unserer Partnerorganisation hinzu. Wir erklärten ihm, dass es natürlich Patienten gibt. Allerdings gibt es selbst wenn es mal mehr als drei oder vier sein sollten, nicht mehr zu tun als alle paar Stunden Medikamente zu verteilen oder Wunden zu säubern. Das ist selbst für die eine oder oft auch zwei anwesenden Schwestern nicht wirklich viel Arbeit. Häufig beschweren selbst diese sich darüber, dass ihnen total langweilig ist. Außerdem kommen die meisten Menschen hier nur zur ambulanten Behandlung, da es eben keine Arztpraxen gibt und ein Krankenhaus oder ein Health Center die einzige Möglichkeit ist medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Hin und wieder kommen also Schwangere zur Vorsorgeuntersuchung vorbei oder es findet eine Geburt statt, was in den letzten Tagen aber auch deutlich seltener vorkam. Sam konnte verstehen, dass wir uns natürlich darauf eingestellt haben hier unter ganz anderen Bedingungen zu arbeiten und uns in vielerlei Hinsicht umstellen müssen, aber natürlich nicht akzeptieren wollen den ganzen Tag so gut wie nichts zu tun. Seit über drei Wochen ist UPA nun also auf der Suche nach anderen Projekten, bisher ohne Erfolg. Der bürokratische Aufwand sei für internationale Freiwillige ziemlich hoch und vor allem zu Krankenhäusern bestehen wohl nicht viele Kontakte, dass wir so einfach woanders anfangen können. Deshalb haben wir auch schon angeboten in einer anderen Einrichtung wie einer Schule oder einem Kinderheim zu arbeiten. Auch in diesem Bereich ist es aber im Moment nicht so leicht etwas zu finden, weil letzte Woche die Schulferien angefangen haben.

 

Unser Vorschlag Gesundheitsprogramme für Schwangere und Mütter anzubieten, der von meiner Gastschwester stammt, wurde mit Begeisterung vom Krankenhausmanagement aufgenommen. Ruth sagte mir, dass solche „Health Care Sessions“ in vielen Krankenhäusern angeboten, da viele junge Mütter mit am Anfang überfordert sind. Sie erzählte mir zum Beispiel, das einige Frauen teure Babynahrung im Supermarkt kaufen, für die ihr Baby aber noch zu klein ist, weil sie ihren Kindern etwas Gutes tun wollen und nicht wissen, dass sie ihnen eher schaden, wenn sie einem wenige Wochen alten Säugling Babybrei ab dem 8. Monat füttern. Auch wenn wir beide keine Experten auf diesem Gebiet sind, haben Maria und ich in Absprache mit den Ärzten und unter Berücksichtigung der im Hospital vorhandenen Literatur, bestimmte Themen wie Hygiene, Ernährung oder Impfungen vorbereitet. Vor vier Wochen haben wir die Flyer dazu erstellt, aber wir warten immer noch darauf, dass Ronald sie ausdrucken lässt, damit wir sie während der Impfsprechstunde am Freitag an die Mütter verteilen können.

 

Im Moment habe ich das Gefühl, dass ich zwar durch meine Gastfamilie ganz tolle Erfahrungen mache, aber trotzdem in jedem deutschen Krankenhaus in der Pflege mehr gebraucht werden würde, als im Galilee Hospital. Ich war also nicht wirklich nicht grade traurig, als Ronald am Montag vor drei Wochen zu mir sagte, dass meine Gastmutter ihn angerufen hat und ich schon früher gehen soll, damit ich um drei Uhr zu Hause bin. Ich hatte zwar eine Vermutung, aber ich war mir nicht ganz sicher warum. James, der Sohn von Anne und Vater von Mimi, hatte vor einiger Zeit vorgeschlagen, dass wir bald einen Ausflug zum Lake Victoria in Entebbe machen könnten. Aufgrund meiner bisherigen Erfahrung, habe ich aber nicht damit gerechnet, dass bald auch manchmal so bald sein würde. Zusammen mit meiner Gastmutter und einer Freundin von James fuhren wir mit seinem Auto die Entebbe Road entlang und ich musste daran denken, wie es war, als wir vor einigen Wochen in der Nacht am Flughafen angekamen. Ich war überrascht darüber wie viel für mich schon ganz normal geworden ist, während ich vor zwei Monaten noch darüber gestaunt hatte. Kurz nachdem wir angekommen waren, hatten wir es uns schon am Strand gemütlich gemacht, als uns der frisch gefangene Fisch aus dem Lake Victoria serviert wurde, den James vorher bestellt hatte. Ich glaube, dass es wirklich nicht übertrieben ist, wenn ich behaupte, dass das der beste Fisch war, den ich je gegessen habe. Danach machten wir es uns noch für eine Weile am Lagerfeuer gemütlich und genossen den Blick auf den See, auf dem sich die Lichter der Autos auf der Entebbe Road spiegelten. Ich hoffe, dass ich im Januar Zeit haben werde nochmal dorthin zu fahren, wenn ich zum Zwischenseminar in Entebbe bin.

Durch ein paar bunte Weihnachtssterne aus Papier und Holz, Adventskalender-Karten, Plätzchen und Weihnachtsschokolade, die mir meine Mama und meine Patentante geschickt haben, kommt Abends im Kerzenlicht, wenn die Temperatur auf etwa 18 Grad abgekühlt ist, zumindest ein kleines bisschen Adventsstimmung auf. Ansonsten ist der Duft der Mandarinen und Orangen hier das einzige was mich an die Vorweihnachtszeit in Deutschland erinnert. Wenn ich also keine Adventskalender hätte, würde ich glaube ich ganz vergessen, dass schon Dezember ist. Auch wenn es komisch sein wird nicht zu Hause zu sein, freue ich mich darauf Weihnachten dieses Jahr mit meiner Gastfamilie im warmen Kampala zu verbringen. Unser Plastik-Weihnachtsbaum liegt schon im Wohnzimmer bereit und wartet auf seinen Einsatz. Wie ihr seht, steht einem ganz besonderen Weihnachtsfest also nichts mehr im Wege!