faszination - 16. Oktober 2014

Dieses Land, die Menschen hier, sie faszinieren mich. Es ist unbeschreiblich schön hier zu sein und ich kann nicht aufhören zu staunen, über so viel Leben auf den Straßen, so viel Lebensfreude in den Herzen der Menschen, so viel Gastfreundschaft und so viele neue Dinge, die man überall sieht und erlebt haben muss, weil sie nicht in Worte zu fassen sind. Aber ich werde es erneut versuchen.

 

Stellt euch vor es ist 01:32 an einem Freitagabend und man hört schon seit 22 Uhr laute Musik der „Born-Again“-Gemeinde von nebenan.

In Deutschland würde nach spätestens einer Viertelstunde die Polizei wegen Ruhestörung vor der Tür stehen, hier stört das aber niemanden und ich bin überrascht darüber, dass ich mich ganz schnell daran gewöhnt habe. Ganz egal, ob die ganze Nacht die Straßenhunde bellen, laute Gesänge oder Gebetsrufe zu hören sind, ich schlafe tief und fest. Nur wenn die dicken Regentropfen morgens auf das Wellblechdach prasseln, wache ich manchmal schon vor meinem Wecker auf.

 

Dass ich nun schon 14 Tage hier bin, kann ich immer noch kaum glauben. Die Zeit vergeht so unfassbar schnell. Und langsam wird mir klar, dass das im Voraus planen hier absolut zwecklos ist – damit ihr mich nicht falsch versteht, ich rede von der Planung desselben Tages. Sobald man sich für den Abend vorgenommen hat in Ruhe einkaufen zu gehen, zu kochen und noch ein bisschen zu lesen, um dann ein bisschen früher schlafen zu gehen, stellt man - so wie wir die gesamte letzte Woche - spätestens auf dem Rückweg im Dunkeln fest, dass man seinen Tag zwar ganz anders, aber noch viel schöner verbracht hat, als erwartet.

 

Zu unserer Freunde wurde der erster Besuch in unserem Projekt, dem Galilee General Commuity Hospital, schon auf letzten Dienstag vorverlegt, weil Ronald, unser Ansprechpartner des Krankenhausmanagements zufällig Mittags bei UPA im Guest House vorbeischaute und uns in seinem Jeep mitnahm. Bevor er uns durch das Gebäude führte, bat er uns in seinem Büro in das Gästebuch des Hospitals zu schreiben, wie es hier wohl für jeden Gast üblich ist. Danach stellte er uns beim gesamten Personal als „friends of Galilee“ vor und wir wurden von allen sehr herzlich begrüßt und willkommen geheißen.

 

Das Krankenhaus ist recht klein und überschaubar. Im Erdgeschoss befinden sich die Räumlichkeiten des Managements, die Apotheke und eine Rezeption im Eingangsbereich, der wie die anderen Flure auch als Warteraum genutzt wird. Außerdem verfügt es im hinteren Bereich noch über ein Arztzimmer, einen Behandlungsraum und eine Küche, in der für das Personal gekocht wird. In Uganda ist es üblich, dass die Angehörigen der Patienten die pflegerischen Tätigkeiten übernehmen und ihnen Essen vorbeibringen. Dafür übernehmen die Krankenschwestern hier mehr Aufgaben, die bei uns in Deutschland als ärztliche Maßnahmen gelten.

Vor dem Hospital steht ein Rettungswagen, der meist für Transporte von Patienten in andere Krankenhäuser genutzt wird und wohl bei Bedarf auch Patienten von zu Hause abholt, was hier eher selten wahrgenommen wird, auch wenn schon ein paar Rettungswagen auf der Straße an mir vorbei gefahren sind.

Am liebsten hätte ich ihn mir sofort von innen angesehen, aber leider war der Schlüssel letzte Woche verschwunden und ich musste mich bis vorgestern gedulden. Viel zu sehen gab es allerdings nicht, da sich darin - abgesehen von der Trage - nichts in den Fächern und Halterungen befand.

 

Im ersten Stock gibt es einen OP-Saal und einen Zahnarztraum, auch wenn wir noch keinen Zahnarzt zu Gesicht bekommen haben.

Bisher haben wir die meiste Zeit im zweiten Stock auf der Geburts- und Kinderstation verbracht, wo es neben einem Behandlungsraum und mehreren Patientenzimmern auch einen Raum mit einem Ultraschallgerät und ein Labor gibt.

Ein Aufzug ist nicht vorhanden, im Notfall werden Patienten über eine Rampe an der Hauswand in den ersten Stock geschoben. Im Garten befinden sich die Stromaggregate und ein Container, der als Lagerraum dient.

 

An unserem ersten Arbeitstag gab es nicht allzu viel zu tun und wir konnten den Tag gut nutzen um mit den verschiedenen Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen und das Haus besser kennenzulernen. Außerdem sind wir Mittags zum ersten mal in den Genuss der hier fast täglich gegessenen Matoke gekommen, die traditionell in Bananenblättern auf Holzkohle zubereitet wird und auch als Kochbanane bekannt ist. Diese wird solange gekocht, bis man sie zerquetschen kann und sie später in einer ziemlichen festen Masse aus den Bananenblättern entnimmt, nachdem sie den rauchigen Geschmack der Holzkohle angenommen haben. Diese Tatsache macht sie nicht gerade zu meinen Lieblingsessen. Anders sieht es hingegen mit Posho, süßen Kartoffeln und Bohnen aus, die ich seitdem fast jeden Tag im Krankenhaus gegessenen habe. Posho ist ein weißer Brei, der aus Wasser und Maismehl gekocht wird und dann stockt. In Kombination mit den Bohnen in einer Art Tomatensauce mit Zwiebeln und Paprika - auf jeden Fall echt lecker.

Die meisten Ugander mögen es nur überhaupt nicht, was verständlich ist, wenn man bedenkt, dass es dieses Essen in den meisten Schulen oder Universitäten fast täglich gibt.

Sofern ich das richtig verstanden habe, finanziert sich das Krankenhaus unter anderem durch Spenden eines der Mitgründer. Jedenfalls waren wir am Mittwoch Nachmittag und Donnerstag morgen unter anderem damit beschäftigt, Pakete mit gespendetem Material auszupacken und mit einem Mitarbeiter die Stückzahl der einzelnen Produkte aufzulisten. Viele der gespendeten Artikel waren sehr speziell und werden vermutlich auch größtenteils nicht gebraucht werden, weil das Personal bei vielen Dingen gar nicht weiß, worum es sich handelt und uns ständig bat, zu erklären wofür man was benutzt.

Das Spenden an sich würde ich keinesfalls verurteilen wollen, wenn man aber viele Einmalprodukte wiederverwenden muss, weil sie zu teuer sind und stattdessen unendlich viel Material geschickt wird, womit man in unserem Krankenhaus wenig anzufangen weiß, hinterfragt man eben den Sinn dieser Spende.

 

Am Freitag impften wir den ganzen Vormittag fast hundert Neugeborene, Säuglinge und Kleinkinder gegen Tuberkulose, Masern, Tetanus, Pertussis, Diphtherie, Hepatitis B und vieles mehr. Einige waren sogar erst wenige Stunden alt und in der Nacht oder am Tag vorher zur Welt gekommen. Viele Kinder bekamen zusätzlich Vitamin A aus kleinen Kapseln in den Mund geträufelt. Es handelt sich um eine Impfkampagne der ugandischen Gesundheitsbehörde, die unserem Hospital an jedem Freitag den Müttern die Möglichkeit bietet, ihre Kinder impfen zu lassen.

 

Die Bedingungen im Krankenhaus sind aufgrund der Tatsache, dass es nicht um ein staatliches Krankenhaus handelt, im Verhältnis wohl recht gut, für Maria und mich aber in vielerlei Hinsicht noch ziemlich gewöhnungsbedürftig.

Was uns schockiert sind nicht die Krankheitsbilder oder der Patientenumgang, der allenfalls bei den Kindern ein wenig einfühlsamer sein könnte, sondern wie mit dem Material umgegangen wird, das vorhanden ist.

Wir haben damit gerechnet, dass vieles nicht zur Verfügung steht, aber die Tatsache, dass meist die Möglichkeit bestünde, mit dem was vorhanden ist hygienischer zu arbeiten, dies aber nicht getan wird, ist für uns oft schwer hinzunehmen.

Ich bin mir sicher, dass wir uns mit der Zeit damit arrangieren werden und die Worte „This is Africa“, die wir von einem der Ärzte schon mehrfach gehört haben, bald akzeptieren können.

Seit letzter Woche Mittwoch laufe ich also in einem quietschgelben Kleid durchs Krankenhaus, woran ich mich auch noch gewöhnen muss, da ich zweiteilige Arbeitskleidung dieser definitiv vorziehe. Im Moment arbeiten wir erstmal von Montag bis Freitag, aber wenn wir demnächst auch Samstags auf die sogenannten Outreaches mitfahren, bekommen wir dafür den Montag danach frei. Wie diese genau ablaufen weiß ich noch nicht, nur dass ein „Medicalteam“ unter anderem mit dem Rettungswagen des Krankenhauses in die „Communitys“ fährt, um dort medizinische Versorgung für die Menschen anzubieten, die es sich nicht leisten können im Hospital behandelt zu werden.

 

Am Freitag Nachmittag bat Ronald Maria und mich in sein Büro und fragte uns, ob wir vielleicht Lust hätten uns mit der Gastfamilie zu treffen, die im Moment keinen Strom hat, sich aber so sehr darauf gefreut hat, eine Freiwillige aufzunehmen.

So kam es dazu, dass wir uns noch am selben Abend im Wohnzimmer der Familie befanden und unglaublich herzlich von ihnen empfangen wurden. Die Familienverhältnisse habe ich immer noch nicht ganz durchschaut, weil jeder Cousin oder auch entferntere Verwandte hier als „sister“ oder „brother“ bezeichnet wird.

Auf jeden Fall wohnen dort drei Generationen unter einem Dach, die sich alle sehr darüber freuten uns zu sehen und unglaublich interessiert waren, mit uns ins Gespräch zu kommen. Da uns im Vorhinein deutlich gemacht wurde, dass dieses Interesse am kulturellen Austausch nicht in allen Gastfamilien selbstverständlich sei und viele die Freiwilligen auch aus finanziellen Gründen aufnehmen, übertraf das erste Treffen mit der Familie alle meine Erwartungen.

Als wir uns verabschiedeten wünschte sie uns Gottes Segen, wie ich das nur aus England von meiner Familie kenne.

 

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass es in Uganda kaum Menschen gibt, die nicht religiös sind. Die Frage an welchen Gott wir glauben, ist auch meist eine der ersten, die uns gestellt wird, wenn wir jemand Neues kennenlernen. Dass Religion für den Großteil der Bevölkerung hier eine viel größere Rolle spielt als in Deutschland und auch stärker ausgelebt wird, zeigt sich nicht nur an den omnipräsenten Gebetsrufen und Gesängen aus den Kirchen, sondern auch anhand der Matatus, die oft mit Aufschriften wie „Glory be to the Lord“, „God is great“, „Masha Allah“, Psalmen oder anderen schönen Sprüchen verziert sind.

 

Am Samstag machten wir uns auf den Weg zum Fußballspiel Uganda gegen Togo im „Mandela National Stadium“. Als Trust, der unseren Ausflug organisiert hat, anstatt wie vereinbart um 11 Uhr schon um kurz vor zehn vor der Tür stand, waren wir ein wenig überrascht.

So ganz haben wir die Hektik aber nicht verstanden, schließlich waren wir bereits gegen zwölf Uhr im Stadion angekommen, obwohl das Spiel erst um 16 Uhr anfing. Wir waren noch gar nicht richtig aus dem Taxi ausgestiegen, da wurden uns sofort die ersten Fanbemalungen angeboten.

Mit schwarz-gelb-roten Streifen im Gesicht, saßen wir vier Stunden lang im Stadion, beobachteten wie es sich langsam füllte und der Lärm der Vuvuzelas bis ins unermessliche Anstieg.

Das war kein Vergleich zum Seeed Konzert mit 194 Dezibel oder jedem anderen Fußballspiel, das ich jemals in Deutschland oder England gesehen habe. Wir waren unglaublich froh, als das Spiel endlich begann und noch glücklicher, als es trotz Niederlage vorbei war.

Unter den über 45 000 Menschen im Stadion haben wir außer uns nur einen anderen Weißen gesehen, was scheinbar dazu führte, dass wir ständig angesprochen wurden. Zunächst hielt es sich wie bisher vollkommen im Rahmen und viele Fans riefen uns „Thank you for suporting!“ zu, als sie uns in unseren „Uganda Cranes“-Trikots sahen. Diese hatten wir uns für diesen Anlass bestellt und mit unseren Namen bedrucken lassen. Die Nationalmannschaft wird hier auch als „Cranes“ bezeichnet, in Anlehnung an den Kranich auf der ugandischen Flagge.

Als wir das Stadion verließen, wurde uns klar, warum empfohlen wird Menschenmassen und Großveranstaltungen zu meiden: Zum ersten mal seitdem ich hier bin, fühlte ich mich wirklich unwohl, eingequetscht zwischen so vielen Menschen, während ich von hinten immer weiter nach vorne geschoben wurde und gleichzeitig versuchen musste, den Polizeiautos auszuweichen, die sich den Weg durch die Menge bahnten.

Nach dem Spiel brach der Verkehr in ganz Kampala komplett zusammen und unserer gemietetes Taxi konnte uns nicht abholen, weshalb uns und unendlich vielen anderen nichts anderes übrig blieb, als zu laufen. Elena und ich hatten seit dem Frühstück bis auf ein paar Kekse nichts mehr gegessen und kauften uns deshalb eine Art Krapfen, den wir eine halbe Stunde lang in der Hand hielten, bis wir es um halb acht nicht mehr aushielten und auf dem Weg aßen, obwohl das eigentlich dem ugandischen Knigge widerspricht. Als wir Sissi später davon erzählten, meinte sie, dass dies nicht so schlimm sei und sie selbst auch manchmal unterwegs esse, wenn sie Hunger hat.

 

Nachdem wir fast eine gefühlte Ewigkeit durch die Dunkelheit gelaufen waren und ich mich fragte, ob ich in meinem letzten Artikel wirklich geschrieben habe, dass sich die „Mzungu“-Rufe in Grenzen halten, weil wir nun ununterbrochen von den Boda Bodas und aus den überfüllten Fahrzeugen mit unseren Namen angesprochen wurden, die man scheinbar trotz fehlender Straßenbeleuchtung auf unserenTrikots lesen konnte.

Vielen Menschen stellten sich auf die Trittbretter der Matatus oder kletterten auf Laster, um sich den weiten Fußweg zu ersparen. Glücklicherweise fanden wir nach fast zwei Stunden freie Bodas, auf denen wir jeweils zu zweit nach Hause fuhren. Die Helme, die Maria und ich uns gekauft haben, als klar wurde, dass wir nun täglich mit dem Boda zur Arbeit fahren würden, hatten wir natürlich nicht dabei. Wir sagten dem Fahrer, er möge bitte langsam fahren, was dann eigentlich auch umgesetzt wird, sofern man nicht gerade zu zweit auf dem Boda mitfährt und überall Polizisten am Straßenrand stehen. Man guckt also besser nicht auf den Tachometer, sondern genießt einfach den kühlen Fahrtwind, während man sich im Windschatten des Fahrers vor dem staubigen Sand schützt, versucht sich trotz riskanter Überholmanöver zu entspannen und vergisst für einen kurzen Moment - bis zum nächsten Schlagloch - die Welt um sich herum.

Für mich steht jetzt schon fest, dass ich auf jeden Fall auch noch meinen Motorradführerschein machen werde, wenn ich wieder in Deutschland bin.

Die Gastfamilie, bei der wir am Freitag zu Besuch waren, lud uns ein, am Sonntag eine der Enkeltöchter der Gastmutter zu besuchen, die in der Nähe von Entebbe ein Internat besucht. Mir wurde erklärt, dass die Familien an den Besuchstagen ein besonderes Essen vorbereiten und Kleinigkeiten mitbringen, um ihre Kinder zu motivieren. Im Gegenzug werden gute Noten erwartet.

Leider befand sich Marias Magen-Darm-Trakt nicht ganz im Gleichgewicht und sie blieb im Guest House, um sicher zu gehen, dass die nächste Latrine schnell zu erreichen ist.

Ich musste mich also alleine auf den Weg machen. Da Ruth, eine der Gastschwestern mir netterweise am Freitag in mein Notizbuch geschrieben hat, wo ich umsteigen muss und ich auf die Hilfe der anderen Fahrgäste zurückgreifen konnte - die wie immer sehr hilfsbereit waren  - habe die Straße glücklicherweise - trotz meines fehlenden Orientierungssinns - wiedergefunden.

Anna, die Gastmutter, war darüber noch überraschter als ich. Bei der Familie angekommen, bekam ich zuerst ein dickflüssiges Getränk, das hier als „Porridge“ bezeichnet wird und aus Wasser, verschiedenen Getreidemehlsorten und Zucker besteht. Es schmeckte einerseits süß, aber anderseits auch herzhaft und war nicht ganz mit dem zu vergleichen was ich unter Porridge verstehe.

Danach wurden mir noch sehr leckere frittierte Bananen und Süßkartoffeln angeboten und ich fühlte mich schon vor dem Mittagessen total satt.

Dieses Gefühl stellt sich hier ohnehin sehr schnell ein, weil die meisten Mahlzeiten hauptsächlich aus Kohlehydraten bestehen. In der Küche durfte ich beim Waschen und Schneiden des Kohls helfen, der wie das meiste, was wir später gegessenen haben, aus dem eigenen Garten stammte. Zwischendurch kamen immer wieder verschiedene Familienmitglieder vorbei, denen ich von Ruth als „sister“ vorgestellt wurde und die mich sehr herzlich begrüßten. Mit insgesamt sechs Kindern auf der Rückbank und einem Kofferraum voller Essen, fuhren wir dann etwa eine halbe Stunde bis zur „boarding school“ und verbrachten dort einen schönen Nachmittag mit dem bisher besten afrikanischen Essen, was ich gegessen habe. Zum Nachtisch gab es noch Zuckerrohr, das geschält und in Stücke geschnitten wird, bevor man darauf kaut, um den Saft herauszusaugen und es danach wieder ausspuckt. Angeblich nutzt man es bei kleinen Kindern auch als Zahnreinigung, weil man ihnen hier nicht die Zähne putzt.