Alltagsmomente - 4. Juli 2015

Manchmal, wenn ich so durch Kampala schlendere, fühle ich mich ein bisschen wie in Trance. Es ist, als würde ich durch die Menschenmasse schweben, von ihr getragen werden und in dem Strom der Menge mitschwimmen. Die Mzungu-Rufe gehen im Gedränge unter und ich schiebe mich an den wild gestikulierenden jungen Männern, den laut schreienden Predigern, den aufdringlich ihre Ware anpreisenden Verkäufern, vorbei und versuche den Männern mit den großen Kisten und Säcken auf dem Kopf, geschickt auszuweichen. Es ist nicht mehr so seltsam hier zu sein, viel seltsamer der Gedanke bald wieder gehen zu müssen. Selbstverständlich werde ich mich an so manches wohl nie gewöhnen, aber das meiste, was am Anfang so lustig, komisch oder unverständlich war, ist ganz normal geworden. Auf viele Fragen, die durch Beobachten des Geschehens und den Umgangsformen des Landes entstanden sind, habe ich Antworten gefunden. Andere Dinge werden für mich vielleicht immer unerklärlich scheinen, viele Fragen mangels guter Antworten bestehen bleiben. Es ist gut die Dinge zu Hinterfragen, aber genauso muss man akzeptieren, dass es nicht auf jede Frage eine gute Antwort gibt. Und wer hat das Recht festlegen zu dürfen was gut oder schlecht, richtig oder falsch, moralisch oder ethisch verwerflich ist? In einem fremden Land zählt es vielleicht zu den größten Herausforderungen andere Werte hinzunehmen, auch wenn diese nicht immer mit den eigenen übereinstimmen. Doch wann ist es trotzdem angebracht oder auch wichtig die eigene Meinung zu sagen? Wann muss man die Regeln der Anderen akzeptieren, ganz egal wie falsch man sie selbst findet?

 

Ich freue mich auf zu Hause, aber die Vorstellung, dass es jetzt nur noch einige Wochen sind, bis ich wieder da bin, kommt mir so surreal vor. Es gab eine Zeit, in der ich dachte, ich könnte zurück gehen, ohne dass es sich wirklich anders anfühlen würde oder sich viel in meinem Leben verändert gehabt hätte. Das ist anders geworden. Als ich nach Uganda gekommen bin, überwog die Vorfreude und ich war zwar aufgeregt, aber nicht besonders traurig zu gehen. Mir war klar, ich würde zurückkommen. Es war ein Abschied auf Zeit. Doch wer weiß, ob ich wieder mal nach Uganda zurückkommen werde? Ich habe so viele besondere Menschen kennengelernt, bei denen ich nicht weiß, wann ich sie wiedersehen werde. Dieses Jahr kommt mir ein bisschen so vor wie eine einzige große Reise. Ein Teil von mir wird zurück bleiben und gleichzeitig ist mein Herz voller Erinnerungen, die ich mitnehmen werde. Ich verspüre eine große Dankbarkeit für all das was ich hier erleben durfte, durch die Menschen denen ich begegnet bin. Viele haben es geschafft mich auf irgendeine Art und Weise zu berühren. Manche werden nur kleine Spuren hinterlassen, andere riesig große, die ich für immer in mir tragen werde. Und nur darauf kommt es an, auf die Menschen um uns herum, denen es gelingt uns durch ihre Begegnung zu berühren. In Uganda gibt es viele davon und es sind nicht nur die, die man gut kennt. Manchmal ist es auch nur die Frau in unserer Straße, die jeden Abend vor ihrer Hütte Maiskolben über dem Feuer röstet und mich begrüßt, wenn ich im Dunkeln an ihr vorbei laufe. Vielleicht ist das der Grund, warum ich in letzter Zeit manchmal ein bisschen Angst davor habe, zurück nach Deutschland zu gehen, auch wenn ich mich natürlich auch sehr darauf freue. Denn inzwischen habe ich mich so sehr daran gewöhnt in dieser Welt zu leben, in der es um andere Dinge geht, als in unserer.


Manchmal erwische ich mich immer noch dabei, jemanden nach dem Weg oder nach einer anderen Kleinigkeit zu fragen, ohne ihn zu grüßen. In Deutschland wäre ein "Entschuldigung, wie komme ich am besten zur Post?" schließlich nicht unhöflich. Doch dann muss ich immer an den Satz meiner Swahililehrerin denken: "You cannot not great an African.", und schäme mich ein bisschen "for being rude". Bei uns braucht man nicht zuerst nach dem Befinden des anderen zu fragen, wenn man sich bloß nach dem Weg erkundigt. Hier verhält sich das ein wenig anders. Aber wenn ich es eilig habe, vergesse ich eben manchmal immer noch, dass kein Weg um den anfangs ein wenig lästig erscheinenden Smalltalk herumführt. Ich mag diese Förmlichkeit inzwischen gerne, weil in Wirklichkeit eben doch mehr dahinter steckt, als nur die Floskel. Bei einer kurzen Begegnung mit einem Fremden ist das meist nicht so ausgeprägt. Dennoch fand ich es am Anfang seltsam von einem Menschen, den ich zum ersten mal in meinem Leben begegnet bin, auf der Straße oder im Matatu gefragt zu werden, wie mein Leben denn so läuft. Auf die Standard-Antwort "I'm fine" folgen bei Freunden oder Familienmitgliedern dann aber auch ausführlichere und vor allem ehrlichere Antworten und es wird nachgefragt, wie es einem wirklich geht, was die Kinder machen, wie die Arbeit läuft und was es sonst noch so Neues gibt. Mit der Zeit wurde mir klar, dass diese Fragen also nicht nur aus Höflichkeit gestellt werden oder weil man das eben so macht, sondern, dass viele Menschen eben doch daran interessiert sind, wie es einem geht und sie gerne mehr hören wollen als "Fine and you?".


Jeden Morgen, wenn ich zur Hauptstraße laufe werde ich von den Kindern der Ladenbesitzer begrüßt. Sie hören erst auf zu rufen, wenn ich gewunken habe. Das bringt mich jedes mal zum Lachen und inzwischen freue ich mich aber auch darüber. Es ist mindestens genauso schön wie wenn ich abends nach Hause komme und mir die Mamas am Straßenrand "Kulikayo!" zurufen. Das bedeutet "Willkommen zurück!". Manchmal kaufe ich dann noch ein bisschen Obst für mein Frühstück, was inzwischen auch sehr gut auf Luganda klappt.

 


 

Die Ugander freuen sich sehr darüber, wenn man mit ihnen in ihrer Sprache spricht und bedanken sich auch oft dafür, dass man sie lernt. Was mir das Sprechen am Anfang ein wenig erschwert hat, war die Tatsache, dass viele anfangen zu Lachen, wenn man Luganda spricht und jedem in unmittelbarer Nähe zuruft: "The Mzungu knows Luganda!" Inzwischen ist mir das aber egal, weil ich weiß, dass die Menschen das nicht böse meinen. Sie sind eben einfach nur überrascht, weil die meisten Weißen nur Englisch sprechen. Umso mehr freue ich mich, wenn jemand so tut als sei es das normalste der Welt, dass ich Luganda spreche, und mir nicht auf Englisch antwortet. Manche Frauen in den kleinen Läden in unserer Straße sind sogar sehr froh darüber, weil ihr Englisch nicht besonders gut ist. Andere gehen allerdings davon aus, dass man ihre Sprache perfekt beherrscht, nur weil man sich ein wenig verständigen kann, und hören dann fast gar nicht mehr auf, auf mich einzureden. Und auch wenn sich meine Lugandakenntnisse wirklich in Grenzen halten, ist jeder zweite Bodafahrer fest davon überzeugt, dass ich unter diesen Voraussetzungen auf jeden Fall einen Ugander heiraten muss. Aber dann erzähle ich ihnen - was ihr bestimmt auch noch nicht wusstet: ich habe doch schon einen Mann und drei Kinder in Deutschland ... Jaja, den Kindern geht's gut. Der Kleinste? Der ist erst zwei. Ach wirklich, ihrer auch? Was für ein Zufall ...


Im Mai habe ich auch noch einen Swahili-Kurs angefangen und es bisher nicht bereut, auch wenn ich jetzt jeden Tag außer Freitag erst spät nach Hause komme. Viele Wörter in Luganda sind ähnlich oder stammen aus dem Swahili. Ingesamt ist Swahili aber deutlich einfacher als Luganda, auch wenn fast jeder Ugander immer total überrascht ist, wenn ich das behaupte. Mein bestes Argument um zu erklären, warum Luganda so viel schwieriger ist, sind die Nominalklassen der beiden Bantu-Sprachen. Swahili hat neun Nominalklassen, Luganda hingegen 21! Um verstehen zu können, was das bedeutet, muss man wissen, dass sich in Bantu-Sprachen etwa Possesivpronomen, Adjektive und andere Satzteile und Verbindungswörter, immer nach der Klasse des Nomens richten. Das heißt, man muss von jedem Nomen die Singular- und Pluralform auswendig lernen, um zu wissen zu welcher Nominalklasse es gehört und damit das Präfix der anderen Wörter, die sich auf das Nomen beziehen, richtig angleichen zu können. Darin besteht wohl einer der größten Unterschiede zwischen indogermanischen und Bantu-Sprachen. In Luganda und Swahili gibt es also nicht ein Wort für zum Bespiel "meine" oder "ihre", sondern das Präfix vor der Endung verändert sich in Abhängigkeit der Nominalklasse.


Ich finde beide Sprachen wahnsinnig interessant und es ist sehr spannend viel über den oft kulturell relevanten Ursprung der Wörter zu erfahren. Obwohl ich letzte Woche meinen ersten Kurs abgeschlossen habe, kann ich auf Luganda bisher nur Präsens, während wir im Swahili-Kurs schon in der zweiten Stunde alle Zeitformen gelernt haben. Das hängt vor allem damit zusammen, dass es in Luganda so viele Unregelmäßigkeiten gibt und wie ich finde, Vieles auch keinem logischen Grundprinzip folgt wie in anderen Sprachen. Fast jedes mal, wenn jemand eine Frage stellt, kommen wir vom Thema ab und sind alle völlig verwirrt von der Erklärung, sodass wir ganz einfach nur den Kopf schütteln und lachen müssen. Trotzdem macht es sehr viel Spaß und es hat sich auf jeden Fall, auch mit ein wenig Verspätung noch gelohnt, damit anzufangen.

 

Wenn ich von der Arbeit zum Goethe-Zentrum fahre, wo meine Kurse stattfinden, bin ich je nach der Verkehrslage meistens zu früh da. Bei schönem Wetter sitze ich am liebsten auf der Dachterasse und treffe dort fast immer irgendjemanden, den ich kenne und der mich vom Vokabeln lernen aufhält. Vom Dach aus hat man einen wunderschönen Blick und kann das Verkehrschaos von oben beobachten.

Ich verbringe aber auch viel Zeit in der deutschen Bibliothek. Dort liegen neben Büchern auch viele Zeitungen und Magazine aus, und es gibt einen sehr gemütlichen Lesesessel. Fast jeden Montag stehe ich jedoch vor verschlossener Tür, weil ich vergesse, dass Montag ist und Princilla nicht da ist. Sie ist die liebste Bibliothekarin, die man sich vorstellen kann, und spricht super gut Deutsch, sodass wir uns immer aus einer Mischung von Deutsch, Englisch und ein bisschen Luganda unterhalten. Princilla ist jedoch nicht die Einzige, die so gut Deutsch spricht, dass es mich am Anfang fast jedes mal fast umgehauen hat. Für mich ist das vielleicht ein bisschen so wie wenn ich mit den Mango-Verkäuferinnen am Straßenrand Luganda spreche. Ich bewundere sie und alle anderen deutschsprechenden Ugander sehr, weil ihr Deutsch so viel besser ist als meine doch sehr bescheidenen Lugandakenntnisse und das, obwohl unsere Sprache schließlich auch nicht besonders leicht zu lernen ist.


 

Wenn ich abends nach meinem Sprachkurs nach Hause fahre, muss ich drei mal umsteigen und eine der verrücktesten Kreuzung Kampalas überqueren. Jedes mal, wenn ich auf der anderen Seite angekommen bin, freue ich mich, dass ich noch lebe - ist hinterher immer ganz schön, aber vier mal in der Woche braucht man so einen Moment eigentlich auch nicht. Ich könnte natürlich auch Boda fahren, aber ich finde, das mache ich oft genug und auch wenn ich bisher jede Bodafahrt unbeschadet überlebt habe, muss man es zu den Hauptverkehrszeiten vielleicht doch nicht unbedingt drauf anlegen.


Was ich wohl nie vergessen werde ist die Frage des Verkehrspolizisten, der dabei zusah wie seine Kollegen hoffnungslos versuchen das Chaos auf der Straße zu bändigen, damit aber wie immer alles nur noch schlimmer machen. Er fragte mich doch tatsächlich warum ich nicht die Ampel benutzen würde. Ich musste lachen. Das konnte er doch nicht ganz ernst meinen. Wenn ich mich darauf verlassen könnte, dass die Auto bei rot stehen bleiben, würde ich ganz bestimmt auch bei grün die Straße überqueren. Ich stellte mir in Gedanken die Gegenfrage: Wozu braucht es hier denn dann überhaupt Verkehrspolizisten, die versuchen den Verkehr in den Griff zu bekommen, wenn es doch eine Ampel gibt? Die Polizisten können wie gesagt auch nicht viel bewirken, weil die Fahrzeuge erst stehen bleiben, wenn genügend andere aus der Gegenrichtung losfahren. Es ist unbeschreiblich, wie so Vieles in Kampala. Man muss es selbst erlebt haben.


Manchmal kaufe ich mir auf dem Weg zum nächsten Matatu einen Maiskolben. Abends werden neben dem typischen Streetfood wie Chapati, Rolex und Kikkomando nämlich auch gekochte oder geröstete Maiskolben, Fleischspieße und andere Snacks verkauft. Dann sitze ich meist noch Weile im Matatu und warte bis es voll ist und losfährt. Besonders dann, wenn der Fahrer den "Shortcut" durch die kleineren, nicht asphaltierten Nebenstraßen nimmt, wackeln die Köpfe der Menschen, die vor mir sitzen, bei jeden Schlagloch gleichförmig hin und her. "Ist es nicht seltsam, dass ich weiß bin?", frage ich mich dann, wenn ich mitten zwischen 15 Schwarzen sitze. Und ist es nicht noch seltsamer mir diese Frage überhaupt zu stellen? In Deutschland habe ich mir nicht vorstellen können wie es seien würde in die Rolle einer Minderheit hereinzuschlüpfen. Jetzt gehört das seit neun Monaten zu meinem Alltag dazu. So dankbar ich auch bin diese Erfahrung machen zu dürfen, hätte ich niemals gedacht wie schwierig es sein würde damit zu leben. Bei uns hätte ich mir die Haare grün färben können und von einem auf den anderen Tag als Punk rumlaufen können; ich würde weniger auffallen als als Weiße in Uganda.


Ich habe nie darüber nachgedacht, dass ich weiß bin. Das war eben so. Ganz genau wie andere Menschen schwarz sind. Schon als Kind hatte ich schwarze Freunde; es war ganz normal für mich. In Anbetracht der Diskriminierung von Schwarzen, die in vielen Ländern ja leider immer noch vorhanden ist, hatte ich - bevor ich nach Uganda kam -, den scheinbar seltsamen Gedanken, dass es mir als Weiße hier anders ergehen würde. Ich dachte, sie würden es genau deshalb doch wohl besser wissen. Nicht dass das, was ich hier erfahre irgendwie mit dem vergleichbar ist, was viele Afrikaner unter der Kolonialherrschaft erlebten oder dem, was sie heute noch in vielen Teilen der Erde aufgrund ihrer Hautfarbe ertragen müssen. Ganz im Gegenteil, ich werde als Weiße allzu oft - meiner Meinung nach unberechtigter Weise -, bevorzugt behandelt. Aber ich dachte, sie hätten verstanden, dass es nicht darauf ankommt welche Hautfarbe wir haben, dass sie genau deshalb noch eher als die Menschen aus den Ländern in denen Weiße die Mehrheit darstellen, wissen müssten, dass wir keinen Unterschied machen sollten, egal ob in positiver oder negativer Hinsicht. Inzwischen weiß ich, dass es so einfach nicht ist und viele Verhaltensweisen, die ich nicht verstehe, zu einem großen Teil durch fehlende Bildung zu erklären sind. Warum würde sonst ein Ugander behaupten Hitler toll zu finden? Und warum würde mir eine Uganderin erzählen, sie wisse, dass alle Weißen, anders als die Schwarzen, gute Menschen sind?


Wie schon gesagt, ich habe mich nie besonders viel mit meiner eigenen Hautfarbe beschäftigt oder mich seltsam gefühlt, weil ich weiß bin. Warum auch? Ich hatte keinen Grund dazu. Aber wer hätte gedacht, dass ich einmal in die Situation kommen würde mir zu wünschen, dass ich schwarz bin? So absurd das klingen mag, so einfach ist die Begründung. Mein Äußeres würde sich nicht von den anderen Menschen unterscheiden und ich würde nicht aufgrund meiner Hautfarbe anders behandelt werden. Niemand würde versuchen höhere Preise von mir zu verlangen, weil er denkt, dass ich viel Geld habe. Ich würde auf der Straße nicht ständig angesprochenen und beobachtet werden. Ich könnte durch die Stadt laufen ohne, dass Menschen versuchen mit den Fingerspitzen meine Haut anzufassen, so wie kleine Kinder, die noch nie einen weißen Menschen gesehen haben. Niemand hätte Grund dazu mich anzustarren, weil ich so anders aussehe und keiner würde nur wegen meiner Hautfarbe so aufgesetzt nett zu mir sein und mit mir befreundet sein wollen.

 

In manchen Situationen mag es hilfreich sein, dass ich weiß bin und die Ugander mir ihre Hilfe anbieten, weil ich bestimmte Dinge als Fremde nicht wissen kann. Oft kann ich ihre Hilfe gut gebrauchen, weil es eben keinen Busfahrplan gibt, häufig auch keine Straßennamen oder Schilder und meist auch keine festen Preise. Ich weiß also nicht, dass ich viel zu viel bezahlt hätte, wenn mir eine Mama nicht den richtigen Preis sagen würde. Manchmal nervt es mich aber auch von allen gefragt zu werden wo ich hin will, weil ich mich inzwischen gut zurechtgefunden habe und es mich stört, dass so viele aufgrund meiner Hautfarbe denken, ich würde mich nicht auskennen.


Umso schöner ist es, wenn Leute verstehen, dass ich keine Touristin bin und mich ganz normal behandeln. Es mag von Vorteil sein, wenn es darum geht, dass mein Sitzplatz im Bus schon besetzt ist und andere sich für mich einsetzen. Aber ich kann nicht sagen, was ich schlimmer finde, die Bevorzugung oder das unfaire Verhalten, wenn jemand beispielsweise höhere Preise von mir verlangt als von einem Ugander. Ich kann inzwischen gut verhandeln und zahle - vorausgesetzt ich kenne die Preise -, jedenfalls meistens auch nicht (viel) mehr als andere. Aber ich mag es nicht, wenn ich besser behandelt werde als andere. Ich finde das ungerecht und verstehe nicht warum manche Menschen das machen. Das hat für mich nichts mit Gastfreundschaft und Höflichkeit zu tun. Ich wünschte, ich würde im Alltag so behandelt werden wie jeder andere. Also freue ich mich also jedes mal, wenn ich ins Matatu einsteige und die Person neben mir so tut als sei ich gar nicht da. Dieses Gefühl ständig angestarrt zu werden gehört nämlich zu den Dingen an die ich mich nicht gewöhnen kann.


Immer wenn ich aus dem Matatu ausgestiegen bin und von der Hauptstraße bis nach Hause laufe, muss ich daran denken, dass ich wirklich keine Ahnung hatte was Dunkelheit ist, bevor ich nach Uganda gekommen bin. Es läuft überall laute Musik und die Lampen der kleinen Läden am Straßenrand helfen mir dabei nicht zu stolpern. Wenn mir ein Boda oder Auto entgegen kommt, sehe ich die Staubenwolken im Scheinwerferlicht und atme die dreckige, nach verbranntem Plastikmüll stinkende Luft, ein. Kein Wunder, dass jedes mal - allein beim Händewaschen und natürlich beim Duschen - braun gefärbtes Wasser in den Abfluss fließt. Egal wie das klingen mag, aber irgendwie ist dieser Dreck Teil meines Lebens geworden. Der Staub ist überall. Er legt sich nicht nur auf jede Pore meiner Haut, sondern sammelt sich auf meiner Kleidung, klebt in meinen Haaren und ist das - woraus gefühlt - der Großteil der Luft besteht, die ich täglich einatme.


Auch wenn es manchmal seltsam ist, dass jeder in unserer Straße weiß, wo die Wazungus wohnen und selbst die Menschen, mit denen ich auf dem Nachhauseweg im Matatu sitze, oft wissen wo ich aussteige, fühle ich mich wieder viel sicherer als noch vor ein paar Wochen. Vor ein paar Wochen gab es zwar Terrorwarnungen der Al-Shabaab-Miliz, teilweise bekommt man diese aber nicht vom Auswärtigen Amt, sondern hört davon nur durch Social Media. Deshalb ist es fraglich, wie ernst zu nehmen sie sind. Die Polizei- und Militärpräsenz hat in den letzten Wochen jedoch stark zugenommen. Die Security-Mitarbeiter, die vor jedem Supermarkt und anderen größen Geschäften stehen und die meist nur einen kurzen Blick in die Tasche werfen, um einen dann trotz Piepen der Geräte durchzulassen, haben mir aber von Anfang an kein Gefühl von Sicherheit vermitteln können. Die Durchsuchungen fallen bei jedem sehr unterschiedlich aus, sind meiner Meinung nach diskriminerend, weil oft völlig willkürlich in ihrer Intensität, und letzendlich darf jeder trotz Alarmsignalen immer durchgehen. Außerdem frage ich mich jedes mal wer von ihnen wirklich gelernt hat mit der Kalaschnikow umzugehen, die über ihren Schultern hängt.


Dann gibt es noch meine Gastmutter, die seit den letzten Aufständen vor den Wahlen 2011 kaum noch nach Kampala fährt und Menschenmassen vermeidet. Als ich das zum ersten mal gehört habe, hat mich das sehr beunruhigt, kommt für mich aber eben einfach nicht in Frage. Menschenmassen sind hier sowieso relativ, weil es einfach so viele Menschen gibt. Wenn ich morgens zur Arbeit gehe und ungelogen über 50 Leute die Straße entlang laufen, frage ich mich auch immer wo die ganzen Menschen herkommen. Und selbst abends um neun Uhr sind in unserer Straße immer noch so viele Menschen unterwegs, dass ich mich sicher fühle, alleine nach Hause zu laufen. Außerdem hat es ganz bestimmt auch Vorteile, dass alle wissen wo wir wohnen. Zumindest die Leute, bei denen wir täglich einkaufen, haben ja vielleicht auch ein persönliches Interesse daran ihre guten Kunden nicht zu verlieren...

 

Der Mentor und unser Ansprechpartner von unserer Organisation wies uns bei unserem letzten Treffen nochmal darauf hin uns aus politischen Diskussionen rauszuhalten und sagte zu uns: "There's a saying in Africa that you should obey to the gouvernement. Then, if you're lucky, you might still be alive, when you see your gouvernement at power." So viel dazu. Im Jahr 2010 gab es es während der WM einen Terror-Anschlag in Kampala. Es folgte im selben Jahr der Brand der Kasubi Tombs, die Königsgräber des Buganda Kingdoms, die zum Weltkulturerbe zählen. Dieser Vorfall führte zu Aufständen in der Stadt. Dem Stamm des Präsidenten, der nicht dem größten und einflussreichen Stamm der Baganda angehört, wird Brandstiftung vorgeworfen. Denn das Buganda Kingdom spielt auch politisch eine recht große Rolle, da die meisten Ugander diesem Stamm angehören. So gibt es seit Jahren Konflikte zwischen der Regierungspartei und den Baganda. Die vermehrte Polizei- und Militärpräsenz könnte also auch mit dem Beginn des Wahlkampfes für das kommende Jahr zu tun haben. Spätestens im August werden nämlich die Wahlkampf-Kampagnen für die Präsidentschaftswahl 2016 beginnen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation unmittelbar vor und nach den Wahlen entwickeln wird. Ich bin aber ganz froh darüber, dass Ganze dann aus fast 7000 km Entfernung verfolgen zu dürfen.

 

Im Krankenhaus arbeite ich inwischen in der gynäkologischen Abteilung. Diese ist wie wohl in jedem ugandischen Krankenhaus, die größte oder viel eher meistbesuchte Station. Es gibt dort entsprechend auch mehr zu tun, als auf den anderen Stationen, auf denen ich bisher gearbeitet habe. Dass ich die meiste Zeit beschäftigt bin, finde ich aber zur Abwechslung zum wenig arbeitsintensiven "Arbeiten" auch mal wieder sehr angenehm. Im Moment bin ich hauptsächlich in der Aufnahme, wo Schwangere zu Vorsorgeuntersuchungen kommen oder sich zur Entbindung vorstellen. Es gibt zwei Zimmer für Frauen mit Komplikationen, alle anderen werden nach der Aufnahme zum Labour Ward gebracht, was eine Art großer Kreißsaal ist, in dem mehrere Frauen gleichzeitig ihre Kinder zur Welt bringen und dabei nur durch Vorhänge getrennt sind.

 


 

Die Arbeit in der Gynäkologie ist recht vielfältig, da ich neben Blutabnehmen, Zugängen legen und Medikamente geben, Mütter für den OP vorbereite oder den Ärzten dabei helfen kann, im vorderen Bereich der Station Patientinnen aufzunehmen. Dazu wird eine neue Akte angelegt, die Frauen werden untersucht, gewogen und es werden Vitalwerte gemessen. Mit den Schwestern gehe ich manchmal mit in den OP, um die Neugeborenen abzuholen und zu versorgen. Es kommt vergleichsweise ziemlich häufig vor, dass Neugeborene reanimiert werden müssen. Besonders in solchen Situationen fällt es mir oft schwer damit umzugehen, dass so anders gehandelt wird, als bei uns.

 

Wenn ich Zeit habe, gehe ich auch immer mit zur Visite, schaue bei Untersuchungen zu und darf mir bei dem ein oder anderen Babybauch den Herzschlag des Kindes mit dem Fetuscope anhören. Ansonsten bin ich viel damit beschäftigt, die richtigen Bücher zu finden, um alles richtig zu dokumentieren oder die Medikamenten-Bestellung einzutragen, in die Apotheke zu bringen und später wieder abzuholen. Es kommt aber auch häufig vor, dass zwischendurch einzelne Medikamente benötigt werden, die die Ärzte dann erst auf den Medikamentenplan in der Akte eintragen müssen, bevor die Mitarbeiter in der Apotheke das Medikament aushändigen dürfen, nachdem sie ebenfalls alles in etlichen Büchern und Heften notiert haben. An die ein wenig umständlichen Dokumentationsvorgaben habe ich mich mit der Zeit gewöhnt, aber in Kombination mit der oft weniger optimal funktionierenden Kommunikation zwischen dem Personal, stellt diese eben doch hin und wieder eine Herausfordung dar und entschleunigt die Arbeitsprozesse enorm. Inzwischen sehe ich das allerdings ein wenig gelassener als vorher und habe mich damit abgefunden, dass ständige Missverständnisse und langes Warten zu meinem Arbeitsalltag dazugehören. Warum soll ich mich auch über etwas aufregen, was ich sowieso nicht ändern kann? Ich kann nur versuchen die Missverstädnisse aufzuklären, und wenn das bedeutet, drei mal nachzufragen und vier mal zum Labor oder zur Apotheke zu laufen und dort zwanzig Minuten rumzusitzen um zu warten, dann ist das eben so.

 

Die meisten Kaiserschnitte werden im Maternity OP gemacht. Wenn dieser voll ist, müssen die Patientinnen dafür aber in den Haupt-OP gebracht werden, wo ich vorher gearbeitet habe. Das ist bei den meistens nicht besonders schlanken ugandischen Mamas gar nicht so einfach. Von einem Aufzug oder überdachten Gängen zwischen den Abteilungen kann man im Lubaga nur träumen. Die Patientinnen werden auf den alten, klapprigen Tragen über den unebenen gepflasterten Hof geschoben und dann die steile Rampe hochgefahren. Um mehr Privatsphäre zu gewährleisten, werden die Tücher und Decken meist bis über den Kopf gezogen und ich finde es sieht dann immer so aus als würden wir eine Leiche über das Krankenhausgelände schieben. So wenig achtsam wie das Personal oft vorgeht, würde ich mir aber manchmal auch wünschen, dass auf unserer Trage kein Lebendiger mit starken Schmerzen liegt. Noch spannender wird es jedoch, wenn wir die noch halb narkotisierten Patientinnen wieder aus dem OP abholen und diese bei jeder Bewegung drohen von den nicht mehr als fünzig Centimeter breiten Tragen zu fallen, weil es an den Seiten keine Gitter gibt, die man hochklappen könnte.

Nachdem ich relativ lange auf der chirugischen Station gearbeitet habe, gefiel es mir am Ende recht gut, weil ich mich besser in die Arbeitsabläufe eingefunden hatte und auch ein wenig selbstständiger arbeiten konnte. Als der Wechsel in den OP anstand, freute ich mich dort bei der Patientenübergabe immer wieder einige Schwestern von der Chirugie zu treffen. Es laufen meist nicht viele Operationen, aber das was ich gesehen habe, war sehr interessant. Manchmal durfte mich auch steril machen und mit an den Tisch gehen, um Haken oder Klemmen zu halten oder Fäden abzuschneiden und konnte den Chirugen aus nächster Nähe bei ihrer Arbeit zuschauen. Außerdem hatte ich das Glück, dass zu dem Zeitpunkt ein Chirug aus Deutschland bei uns gearbeitet hat, der mir viele Fragen, auch im Bezug auf Unterschiede zwischen Uganda und Deutschland, beantworten konnte.

 


 

Ein bisschen gewöhnungsbedürftig im Vergleich zu deutschen Operationssälen ist die Temperatur, die sich aufgrund der meist geöffneten Fenster und fehlender Klimaanlage unwenig von der Außentemperatur unterscheidet. So ganz habe ich mich auch nicht daran gewöhnt, dass die Türen zum OP nie geschlossen gehalten werden und kriege vor allem an der Schleuse hin zum Krankenhausflur oft die Krise, weil das Personal es für weniger dramatisch hält, ein kurzes Pläuschchen zu halten, bevor die Klapptüren verschlossen werden. Wenn es regnet, dann wird es im Operationssaal eben ein bisschen nass, weil die Fenster nicht dicht oder teilweise gar nicht richtig verschließbar sind. Aber auch während der Operationen hält es kaum jemand für nötig die Fenster zu schließen.


Ein weiterer großer Unterschied besteht in der Narkose, oder viel eher von wem die Narkose gemacht wird. Nämlich nicht von Anästhesisten, sondern von Krankenschwestern mit der Fachweiterbildung Anästhesie. Dass es sich dabei nicht um Intensivmediziner handelt, die Vitalparameter des Patienten kontinuierlich überwachen, merkt man ganz schnell. Selbst bei systolischen Blutdrücken von unter 60 mmHg (bei einem Erwachsenen), hängten die Schwestern manchmal vielleicht noch eine Infusion dran und wollten jedes mal abwarten, bis der Druck sich stabilisiert hat. Das war zumindest ihre Antwort auf die Frage, ob sie denn nichts gegen den niedrigen Blutdruck unternehmen wollen. Ich habe mich jedes mal gefragt, wie sie in solchen Situationen so ruhig bleiben können und warum sie es nicht für nötig halten ein Medikament zu geben. Anders als bei uns, ist in Uganda allerdings immer der Chirug "Schuld" daran, wenn der Patient während einer Operation verstirbt, und nicht die Anästhesie.

Womit ich vor allem im Krankenhausalltag immer noch die größten Probleme habe ist die fehlende oder nicht ausreichende Kommunikation. Es ist kein Wunder, dass viele Fehler passieren und Arbeitsabläufe nicht vollständig ausgeführt oder richtig dokumentiert werden, wenn die meisten Schwestern und Ärzte nicht miteinander sprechen - zumindest nicht über für die Behandlung der Patienten -, und für eine funktionierende Teamarbeit wichtige Informationen einfach nicht weitergeben. Das macht es dann oft schwierig die Informationen zubekommen, die man braucht. Denn die Dokumentation ist meist lückenhaft und die Hälfte der Notizen in den Akten kann ich oft nur schwer entziffern. Aber ist gibt schließlich immer einen Weg, auch wenn das bedeutet drei mal nachzufragen und vier mal zum Labor zu laufen. Das nervt mich zwar manchmal, aber gehört eben irgendwie dazu. Auch an den Mangel vieler Geräte habe ich mich gewöhnt. Nur eben nicht daran, die die es gibt nicht zu benutzen, weil man nicht daran interessiert ist, zu lernen wie sie funktionieren.

 

Es sind diese Kleinigkeiten, die ich nicht ganz nach vollziehen kann. Anstatt auf sich aufmerksam zu machen, weil man mit der Trage an jemandem vorbei fahren möchte, riskiert man lieber die Person anzurempeln, anstatt sie einfach freundlich darum zu bitten ein Stück zur Seite zu treten. Auch zeigt man durch das leise Sprechen Respekt. Mich nervt es aber trotzdem total, wenn ich mein Gegenüber nicht verstehen kann. Meiner Meinung darf zumindest in Notfallsituationen, wo es auf schnelles und richtiges Handeln ankommt, keine Rücksicht darauf genommen werden, dass es in der Kultur der Baganda als unhöflich gilt, die Stimme zu erheben. Vielleicht fehlen mir aber auch einfach die spitzen Ohren, über die die Ugander zu verfügen scheinen. Denn die Gesprächslautstärke stellt wirklich den größtmöglichen Kontrast zu der lauten Musik, dem Lärm auf der Straße, der schlichtweg omnipräsenten Geräuschkulisse, dar. Ich glaube, in Deutschland werde ich mich ständig fragen, warum alle so schreien. Unter Höflichkeit und gutem Benehmen wird schließlich überall auf der Welt etwas anderes verstanden.